Spuren hinterlassen
Ästhetische Bildung
„Echte Kunst ist eigensinnig!“
Ludwig van Beethoven
Mit dem gelben Pinsel wird auf das feuchte Blatt eine breite, gelbe Spur gemalt. Oh! Oft begleitet das Staunen das eigene Tuen. Die Farbe breitet sich leuchtend aus, weitere Flächen werden dynamisch oder behutsam gesetzt. Farbe wird gestaltet. Erlebt wird die eigene Möglichkeit auf dem Papier direkt zu wirken. „Ich gestalte meine kleine Welt auf dem Blatt.“ Selbstständigkeit, Erfolgserlebnisse, Stolz auf Selbstgeschaffenes tragen zur IchEntwicklung bei. Aus gelb und rot wird plötzlich orange … Mischfarben entstehen unter dem feuchten Pinsel. Experimentierend entdecken die Kinder die Welt der Farben und deren Gesetze.
Am Aquarelltag im grünen Gruppenraum, wird wöchentlich wiederholend die feuchte Farbe aufs feuchte Blatt aufgetragen. Am Ende des Jahres sind viele Kinder Profis in dieser anspruchsvollen Technik. Die sorgfältige Vorbereitung, die Grundlage des Aquarellmalens ist, wird nach einem Entdecken des Materials Schritt für Schritt stolz übernommen. Durch die Wiederholung entsteht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Und das ist die beste Grundlage zum Lernen und zum Leben. Das Aquarellmalen findet meist in dem geschützten Rahmen von Einzelzuwendung statt. Die Behaglichkeit, ohne Zeitdruck oder soziale Konfrontation das eigene Werk gestalten zu können, lässt spüren: „Ich bin angenommen, so wie ich bin.“ Das schafft Vertrauen in sich selbst.
Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken. Die kühle glitschigklebrige Fingerfarbe bringt als erstes Gefühl leicht ein „iiiihhh“ hervor. Durch das Beobachten der anderen Kinder wird die Neugierde geweckt; so wird der erste Zweifel bald zu zögerndem und immer mutigerem Stupsen der Finger in die Farbe. Und dann wird geschmiert, gerutscht, gemalt, gewischt bis das Blatt farbig glänzt. Jedes Kind hat seine eigene Herangehensweise und bleibt sich selbst genauso treu, wie es auch bereit ist, sich weiterzuentwickeln. Die kindliche Begeisterungsfähigkeit lässt anfängliche Berührungsängste schwinden und motorische Fähigkeiten werden spielerisch erlangt. Bei allem steht die Freude am Tun im Mittelpunkt.
Jede Technik hat ihre eigenen Herausforderungen und Möglichkeiten. Die unterschiedlichen Materialien regen an, stoßen ab, wecken das Staunen und laden auf vielfältige Weise zum Handeln ein. Die schöpferische Tätigkeit gibt die Möglichkeit, Gefühle und Erlebtes in nonverbaler Form sichtbar, transportierbar zu machen. Jedes Kind findet durch weit gefächerte Impulse, die seiner Persönlichkeit entsprechen, seine eigene Bildsprache. Die malerisch/gestaltende Kraft zu erleben, stärkt das Selbstvertrauen. Oft bekommen die Bilder Ehrenplätze zuhause über dem Bett, da sich die Kinder so stark mit ihnen verbinden.
Farben sind Nahrung für die Seele. Sie geben ihr die Möglichkeit Glück, Freude, Traurigkeit ganz individuell auszudrücken. Dem wollen wir Raum geben. Die Reduktion auf die einzelnen Farbfamilien führt in die Tiefe. Die Kinder erleben in jedem Farbraum lauter feine Mischungen und Töne, sie werden zu Baumeistern der Vielfalt. Das seelische Empfinden der einzelnen Farbqualität kann so ausgekostet und einverleibt werden.